Dienstag, 26. Oktober 2010

Qumran

Khirbet Qumran (arabisch: „die graue Ruine“), meist nur Qumran oder Kumran genannt, heißt eine antike, in Ruinen erhaltene Siedlung auf einer flachen Mergelterrasse nahe dem Nordwestufer des Toten Meeres. Sie wurde 68 n. Chr. im Zuge des jüdischen Aufstands gegen die Römer (66-70) von deren Legio X Fretensis zerstört. Der Platz war seit etwa 800 v. Chr. zeitweise besiedelt.
Seit den Funden der Schriftrollen vom Toten Meer in elf Felshöhlen der näheren Umgebung (1947-1956) wurden die Ruinen von 1951 bis 1958 vollständig freigelegt. Dabei und danach wurden vor allem Münzen aus verschiedenen Epochen, Keramiken, verschiedene Werkzeuge und Alltagsgegenstände sowie überwiegend männliche, aber auch weibliche und kindliche Skelette gefunden. Die Deutung der Funde und ihr möglicher Zusammenhang mit den Schriften sind stark umstritten.
Seit den späten 1980er Jahren entwickelte sich Qumran zu einer vielbesuchten Touristenattraktion.




Ausgrabungen

Ausgehend von den Schriftfunden in Höhle 1 (etwa 1,3 km nördlich von Qumran) begannen einige Archäologen um Roland de Vaux im Dezember 1951, im Ruinenhügel stichprobenartig zu graben. 1952 organisierte de Vaux im Auftrag der Antiquitätenbehörde Jordaniens ein Grabungsteam, das die Ruinen in fünf Phasen bis 1958 vollständig ausgrub.
De Vaux gab die Funde nur in Auswahl bekannt, sie lagerten bis 1994 ungeordnet in Paris. Er starb 1971 und hinterließ nur ein Tagebuch mit unsystematischen Eintragungen, keinen Grabungsbericht. 1996 und 2003 erschienen zwei Ausgaben des Grabungstagebuchs mit Fotografien von Ostraka, Graffiti, Knochen und Schmuck sowie Daten zu den Grabfeldern.
1965 bis 1967 legte Solomon H. Steckoll zwölf Gräber auf dem Hauptfriedhof frei. 1967 führte ein Team unter R.W. Dajjani zwei kleinere Ausgrabungen in Qumran durch. Von 1993 bis 2004 führten Yitzhak Magen und Yuval Peleg neue Grabungen in Qumran durch. Sie fanden ein breites Spektrum von Gegenständen, darunter Importkeramik, nabatäische Gebrauchskeramik, Glas, Reste von Metallbearbeitung und Hinweise auf Keramikherstellung. Bei geophysikalischen Untersuchungen des Untergrunds stieß James Strange 1996 auf ein Ostrakon mit einer hebräischen Inschrift, die er als Yakhad las.
1997 bis 1999 ließ die israelische Naturschutzbehörde die Ruinen restaurieren. Dabei wurden Wasserkanäle, Zisternen und Mikwen vermessen und die Gräber gezählt. Kurze Grabungen Yizhar Hirschfelds 2001 konzentrierten sich auf ein Gebäude aus der Römerzeit und einen kleinen, erst 1999 entdeckten Turm aus der späten Eisenzeit. 2001 kartografierten Magen Broshi und Hanan Eshel den Friedhof. 2002 gruben sie ein kleines Gebäude am Ostende des Friedhofs aus, in dem man ein männliches und zwei weibliche Skelette fand. Bei weiteren Grabungen in kleinen Arealen des Mergelfeldes fand Randall Price 2002 Kochtöpfe mit Tierknochen und Reste von Getreidesilos.





Lage

Die Siedlung liegt auf einem natürlichen Mergelplateau etwa 325 m unter dem Meeresspiegel, 90 m über dem Toten Meer. Im Westen etwa 200 m, im Süden 50 m entfernt liegen Anstiege des judäischen Gebirges, im Südosten und Osten fällt die Ebene steil in das Wadi Qumran ab. An dieser Stelle trafen sich zwischen 539 v. und 70 n. Chr. drei Straßen: von Jerusalem im Osten (25 km entfernt), von Jericho im Norden (15 km entfernt) und von En Gedi im Süden (32 km entfernt) her. Bei sehr klarem Wetter sind im Norden die Oase von Jericho und Jordan-Mündung in das Tote Meer, fern im Osten die Bergkette von Moab und im Süden die 3 km entfernte Oase von Ain-Feshkha samt ihren Zufahrtswegen zu sehen. Diese wurde ebenfalls erst ab 1956 ausgegraben. Qumran bildete also in der Antike einen Verkehrsknotenpunkt, strategisch hervorragenden Überblickspunkt und war wirtschaftlich mit benachbarten Oasen verbunden.




Gebäude & Gegenstände

Im Zentrum der Siedlung liegt ein zweistöckiges Gebäude mit quadratischer Grundfläche (15x15 m), verbunden mit einem Turm. Das Untergeschoss war aus Bruchsteinen gemauert, das Obergeschoss bestand aus Holzwänden und Holzdach, die 68 n. Chr. beim Angriff der Römer mit Brandpfeilen verbrannten.
Im Obergeschoss fand sich ein länglicher Raum (14x4,5 m) mit rechteckigen, abgeflachten Erhöhungen aus Lehm, Krügen und Tonscherben mit kurzen Inschriften (Ostraka). Im Untergeschoss fand sich ein fensterloser Raum mit umlaufenden durchgehenden Vorsprüngen in Sitzhöhe und einem Durchbruch zum Nachbarraum. In beiden Räumen fanden sich insgesamt fünf Tintenfässer.


In mehreren kleineren Räumen lagen Getreidereste und Getreidemühlen. Einer davon hatte kleine Doppelöffnungen. Dort fand man drei Töpfe mit 561 Münzen. Insgesamt wurden auf dem Gelände mit über 1200 Münzen die meisten Geldstücke von allen Grabungsorten der Gegend gefunden.
Vor einem großen Raum mit Eingangstür befand sich ein kleines Steinpodest. In einem Raum fanden sich Gefäße aus derselben Keramik, aus der auch die Krüge für Schriftrollen in den Höhlen bestanden.
In und um die Siedlung zerstreut fanden sich Speerspitzen und eine Hacke. Der antike Ruinenplatz war schon vor der Auffindung der Schriftrollen bekannt und wurde als römischer Militärposten gedeutet. Doch außer dem Turm gibt es keine Wälle und Befestigungsanlagen, die auf einen Militärstützpunkt deuten.
Bis 1998 wurden in Qumran weder Schriftrollen, Leder oder Pergament, Glättungs- und Schreibwerkzeuge, noch Nadeln und Fäden zum Vernähen gefunden.


Wasserversorgung

Ein System von Wassergräben, Zisternen und Tauchbecken durchzog die Siedlung. Ein kleines Aquädukt sollte Schmelz- und Regenwasser auffangen und in Bewässerungskanäle leiten. Eine größere Halle (22x4,5 m) hatte ein Tauchbecken vor dem Eingang: Dies wurde als mögliches Ritualbad vor Betreten des Raumes gedeutet.


Friedhöfe

Ein Hauptfeld bei der Siedlung wies etwa 1000 Einzelgräber auf, in denen nur männliche Skelette gefunden wurden. In drei kleineren Grabfeldern wurden etwa gleich viel männliche und weibliche Skelette gefunden. Familiengräber fehlen. Etwa 10 Prozent aller Bestatteten hatten Knochenbrüche. Alle bis 1998 entdeckten Gräber sind einheitlich in einem 23-Grad-Winkel nach Nord-Nordost ausgerichtet, die Schädel der Bestatteten lagen am südlichen Grabende mit Blickrichtung nach Osten.
Genauso ausgerichtete Gräber fand man auch an anderen Orten Judäas, so in Khirbet Qazone südlich des Toten Meeres und in Beit Safafa im Süden Jerusalems.
Inner- und außerhalb der Räume fand man ferner einige unter Tellern und in Töpfen vergrabene Tierknochen.

Benachbarte Höhlen

Sechs der entdeckten Höhlen (Nr. 4,5,7-10) liegen in Sichtweite zur Siedlung. Sie wurden im Gegensatz zu den natürlichen Karsthöhlen Nr. 1-3, 6 und 11 von Menschen angelegt. Sie zeigten keine Spuren von Bewohnung; nur in Höhle 8 wurde eine Gebetsriemenkapsel und eventuell eine Türpfostenkapsel gefunden. 1986 bis 1991 wurden bei einer systematischen Suche weitere 17 Höhlen mit Keramikresten und Kleinfunden darin entdeckt, darunter ein kleines in Palmfasern gehülltes Ölkännchen mit Öl. Dies gilt als Beleg dafür, dass einige Höhlen bei Qumran zeitweise bewohnt waren.
Höhle 4 enthielt Reste von etwa 600 Schriftrollen, darunter überwiegend kultisch-liturgische Texte. Die übrigen Höhlen enthielten nur wenige und stark fragmentierte Schriftreste.

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